Zum Hauptinhalt springen

Saprea > Online-Ressourcen zum Heilen > Unser Ansatz >Ressourcen zum Heilen: Das Einhalten von Grenzen üben

Ressourcen zum Heilen:

Das Einhalten von Grenzen üben

Gesunde Grenzen zu setzen kann helfen, dein Unterstützungssystem zu stärken und gleichzeitig deine Bedürfnisse zu respektieren.

Unsere Interaktionen mit anderen Menschen haben einen großen Einfluss auf unseren Tagesablauf. Die Beziehungen, die wir mit den Menschen um uns herum pflegen, prägen uns und bestimmen unser soziales Verhalten, unsere Selbstüberzeugungen, unsere emotionalen Bedürfnisse und unser Einfühlungsvermögen. Mit jeder neuen Begegnung lernen wir etwas Neues über uns selbst, die Menschen, mit denen wir zusammen sind, und Beziehungen im Allgemeinen.

Diese menschlichen Verbindungen und Interaktionen können auf dem Weg zur Heilung für Betroffene von sexuellem Kindesmissbrauch eine besonders wichtige Rolle spielen. Ein Gefühl der Unterstützung und Gemeinschaft ist wichtig, um die Auswirkungen des Traumas zu bewältigen, insbesondere Folgen wie Einsamkeit, Scham, Depressionen und Ängste. Vielleicht gibt es in deinem Leben Menschen, die dich bereits unterstützen oder die das Potenzial dazu haben. Es kann aber auch Menschen in deinem Leben geben, die sich negativ auf deinen Heilungsprozess auswirken, dir zusätzlichen Kummer bereiten und sogar bestimmte Symptome verschlimmern. So wichtig es ist, Beziehungen zu pflegen, die dich unterstützen, so wichtig ist es auch, die Beziehungen zu erkennen und zu ändern, die weiteren Stress und weitere Schmerzen verursachen können.

Da keine Beziehung der anderen gleicht, stellt sich die Frage, wie die Betroffenen durch jede einzelne Beziehung navigieren und dabei ihre Heilung im Auge behalten können.

Die Antwort lautet: Grenzen. 

Unabhängig von der Art der Beziehung (familiär, locker, intim, beruflich) oder wie diese Beziehung mit deinem Trauma zusammenhängt (eine Freundin aus einer Selbsthilfegruppe, ein Ehepartner, der versucht deine Trigger zu verstehen, ein Familienmitglied, das negativ auf deine Offenlegung des Missbrauchs reagiert hat), ist es wichtig, gesunde Grenzen zu ziehen.

Was ist eine Grenze?

Eine Grenze ist eine klare Definition, die unterscheidet, was für dich in Ordnung ist und was nicht. Stelle dir einen Zaun mit einem Tor vor. Alles innerhalb des Zauns ist das, was dir Sicherheit schenkt und was du in deinem Leben haben möchtest. Alles außerhalb des Zauns ist das, was du nicht in deinem Leben haben möchtest. Die besten Zäune haben Tore, die Raum für Flexibilität bieten, wer ein- und ausgehen kann, um wechselnde Beziehungen, Umstände und deinen Heilungsprozess zu respektieren. Starre Zäune können zur Isolation führen, während schwache Zäune zu unbefugtem Betreten führen können.

FESTE GRENZEN

Eine Betroffene kann strikte Grenzen haben, weil sie in der Vergangenheit ernsthaft verletzt und betrogen wurde. Dieser Vertrauensmissbrauch kann nicht nur durch die Person(en) geschehen, die sie missbraucht haben, sondern auch durch Angehörige, die sie nicht beschützt oder unterstützt haben. Aufgrund dieser Erfahrungen bewahren sie oft striktere Regeln, um sie vor weiteren Schmerz und Enttäuschungen zu beschützen. Dieser Schutz hat einen wichtigen Zweck und ist in bestimmten Situationen notwendig. Die gleichen unnachgiebigen Barrieren, die einen vor Gefahren schützen, können es den Betroffenen aber auch erschweren, neue Beziehungen aufzubauen, Vertrauen zu schaffen und ein Netzwerk der Unterstützung zu bilden.

Personen mit strikten Grenzen:

  • Verwenden strikte Grenzen, um Menschen wegzustoßen.
  • Verwenden Grenzen, um zu versuchen, andere Menschen zu kontrollieren.
  • Sind nicht offen dafür, die Standpunkte anderer zu hören.
  • Schützen auf übertriebene Art und Weise personenbezogene Informationen.
  • Sind nicht bereit, Grenzen an unterschiedliche Situationen anzupassen.
  • Sagen Nein zu Dingen, weil sie außerhalb ihrer Komfortzone liegen.
  • Erscheinen distanziert.
  • Glauben, dass eigene Grenzen wichtiger sind als die Grenzen anderer.

SCHWACHE GRENZEN

Am anderen Ende des Spektrums kann eine Betroffene zu schwachen Grenzen neigen, weil sie zu der Überzeugung gelangt ist, dass ihre Grenzen keine Rolle spielen. Das Trauma des Missbrauchs kann sich auf ihr Selbstwertgefühl ausgewirkt und sie in dem Glauben bestärkt haben, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht so wichtig sind wie die Wünsche und Bedürfnisse anderer. Sie können die Hoffnung verloren haben, dass es in der Welt Menschen gibt, die sie respektieren und schützen wollen. Betroffene mit schwachen Grenzen sind zwar offener für Beziehungen und die Bedürfnisse anderer, sind aber auch einem höheren Risiko ausgesetzt, schlecht behandelt oder sogar erneut missbraucht zu werden.

Personen mit schwachen Grenzen:

  • Setzen keine Grenzen aus Angst, dass andere nicht zustimmen.
  • Werden von den Verhaltensweisen und Meinungen anderer Menschen kontrolliert.
  • Akzeptieren Missbrauch oder Respektlosigkeit von anderen, weil sie das Gefühl haben, es sei das, was sie verdient haben.
  • Teilen zu viele Einzelheiten vergangener Traumata mit anderen, selbst mit neuen Bekanntschaften.
  • Haben das Gefühl, dass es ihre Aufgabe ist, die Probleme anderer zu lösen.
  • Sagen nicht nein zu anderen, selbst wenn sie sich unwohl fühlen oder emotional überfordert sind.
  • Glauben das die Grenzen anderer wichtiger sind und dass sie nicht auf sie zu treffen.
  • Verstärken Grenzen uneinheitlich oder betonen überhaupt nicht ihre Grenzen.

GESUNDE GRENZEN 

Eine gesunde Grenze liegt in der Mitte dieses Spektrums. Sie ermöglichen es dir, standhaft Grenzen zu setzen, die das Gefühl der Sicherheit verstärken, während sie dir gleichzeitig die Flexibilität erlauben, dich nach Umständen und Veränderungen in Beziehungen anzupassen. Um auf die Analogie des Zauns zurückzukommen: Eine gesunde Grenze ermöglicht es dir, das Tor zu neuen Menschen, Freundschaften oder Unterstützungssystemen zu öffnen.

Personen mit gesunden Grenzen:

  • Stehen für persönliche Werte ein und gehen keine Kompromisse aus Angst oder Zweifel ein.
  • Vermitteln und vertreten konsequent ihre Grenzen.
  • Sind standhaft, aber nicht stur, wenn es darum geht, persönliche Grenzen zu unterstreichen.
  • Respektieren die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer.
  • Entwickeln emotionale Nähe in einem angemessenen Tempo, das für den Weg zur Heilung förderlich ist.
  • Teilen persönliche Informationen in angemessener Weise mit anderen.
  • Sind bereit neue Dinge auszuprobieren, solange die eigenen Werte nicht kompromittiert werden.
  • Setzen Vertrauen in diejenigen, die es verdient haben.

Wie kann ich gesunde Grenzen setzen?

Um gesunde Grenzen zu setzen, musst du:

01

eine Beziehung oder Situation in deinem Leben identifizieren, in der du eine Grenze hast, die derzeit zu locker oder zu strikt ist. 

02

feststellen, wie du diese Grenze in eine gesunde Grenze umwandeln möchtest.

03

einen Plan erstellen, wie du diese Veränderung kommunizieren kannst. 
BEISPIEL 1

Lass uns annehmen, dass du momentan damit zu kämpfen hast Grenzen in Bezug auf deine Arbeitszeiten zu setzen. In den letzten Wochen ist dein Arbeitspensum gestiegen und du musstest an mehreren Wochenenden arbeiten, um alles pünktlich abzugeben.

Ein Monat vergeht, ohne dass sich etwas ändert. Du merkst, dass das emotionale Wohlbefinden deiner Familie darunter leidet. Du stellst fest, dass deine Grenzen in Bezug auf die Arbeit am schwachen Ende des Spektrums liegen und zu deinem Wohle und dem deiner Familie musst du es in den mittleren Bereich des Spektrums bewegen.

Daher legst du fest, wie deine neuen Grenzen bei der Arbeit aussehen sollen und wie du diese Grenzen vermitteln wirst. Die Einzelheiten schreibst du in ein Tagebuch:

Beziehung:
Vorgesetzter
Grenzbereich:
Arbeitszeit 
Neue Grenze:
Unter der Woche kann ich gerne Überstunden arbeiten, aber am Wochenende möchte ich nicht arbeiten, wenn es keine dringliche Deadline gibt.
Aktion:
Rede mit meinem Vorgesetzten darüber, warum ich mich nicht wohl fühle, am Wochenende zu arbeiten aber zeige zugleich, dass ich flexibel bin. Ich könnte etwas in der Art sagen, wie: „Ich verstehe, dass Sie noch mehr Arbeit haben, die erledigt werden muss. Wo möchten Sie, dass ich meine Zeit priorisiere?“
BEISPIEL 2

Du hast einen Vollzeitjob und eine Familie und fühlst dich sehr gestresst, vor allem wegen der vielen Hausarbeiten, die erledigt werden müssen. Es wäre zwar hilfreich, wenn andere Familienmitglieder mit anpacken würden, aber am Ende verrichtest du die ganze Arbeit trotzdem allein.

Du merkst, dass die Erwartung, dass du den größten Teil der Hausarbeit erledigst - auch abends, wenn du den ganzen Tag gearbeitet hast und erschöpft bist - dein körperliches und emotionales Wohlbefinden beeinträchtigt. Du beschließt, dass die Grenzen, die du für deine Zeit und deine Aufgaben zu Hause gezogen hast, zu niedrig sind und würdest sie gerne zu etwas Gesünderem ändern.

Daher legst du fest, wie deine neuen Grenzen bei der Arbeit aussehen sollen und wie du diese Grenzen vermitteln wirst. Die Einzelheiten schreibst du in ein Tagebuch:

Beziehung:
Familie
Grenzbereich:
Hausarbeit
Neue Grenze:
Ich kann zwar bestimmte Aufgaben übernehmen, z.B. die Wäsche waschen und am Wochenende staubsaugen, aber ich kann nicht mehr alle Aufgaben allein erledigen, vor allem nicht abends, wenn ich den ganzen Tag erschöpft von der Arbeit bin.
Aktion:
Ein Familiengespräch führen, in dem ich erkläre, warum ich ihre Hilfe bei der Hausarbeit brauche, vor allem unter der Woche. Richte eine Rotation ein, bei der jedes Familienmitglied an einem bestimmten Abend in der Woche nach dem Abendessen das Geschirr spült. 
BEISPIEL 3

Du gehst seit einem Jahr zur Therapie und übst Strategien, um dein Trauma aus deiner Kindheit zu verarbeiten. Dein Partner oder deine Partnerin hat dich auf deinem Weg zur Heilung nach Kräften unterstützt, wenn du es gebraucht hast.

Im Laufe der letzten Monate hast du dich jedoch geweigert, gemeinsam mit deinem Partner zu gesellschaftlichen Anlässen, Familienfeiern oder Veranstaltungen auf der Arbeit zu gehen, weil du Angst hast, einen Trigger zu erleiden. Jedes Mal, wenn dein Partner dich fragt, ob du mit ihm oder ihr zu einer dieser Veranstaltungen gehen möchtest, sagst du nein. Dein Partner ist zwar geduldig und verständnisvoll, aber du hast das Gefühl, dass deine Grenzen zu strikt sind und die Beziehung darunter leidet. Daher legst du fest, wie deine neuen Grenzen aussehen sollen und wie du diese Grenzen vermitteln wirst. Die Einzelheiten schreibst du in ein Tagebuch:

Beziehung:
Partner/in
Grenzbereich:
Soziales Umfeld 
Neue Grenze:
Ich zögere zwar immer noch, an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen, weil ich Angst habe, getriggert zu werden, aber ich verstehe, dass es für meinen Partner wichtig ist, dass ich mich bemühe an bestimmten Veranstaltungen teilzunehmen, selbst wenn es nur für eine kurze Zeit ist. 
Aktion:
Besprich mit meinem Partner, ob ich bereit bin, jeden Monat zu einer bestimmten Anzahl von gesellschaftlichen Veranstaltungen zu gehen, solange wir einen Plan haben, falls ich getriggert werde. Z.B. können wir uns vor jeder Veranstaltung eine Ausrede einfallen lassen, um bei Bedarf früher nach Hause zu gehen.

NUN BIST DU DRAN

01

Denke an eine bestimmte Beziehung in deinem Leben und schreibe sie auf.

02

Überlege dir als Nächstes einen Bereich in der Beziehung (oder deines Lebens im Allgemeinen), auf den du dich konzentrieren möchtest, und schreibe diesen Bereich auf.

Hier sind ein paar Beispiele:

  • Physisch
  • Intellektuell
  • Emotional
  • Spirituell
  • Beruflich
  • Sexuell
Zudem kann es auch hilfreich sein, sich unsere Beziehungsbewertung anzusehen, um herauszufinden, wo neue Grenzen helfen könnten.

03

Markiere auf dem Spektrum die Stelle, an der du denkst, dass deine Grenze derzeit in dieser Situation oder Beziehung liegt.
I
I
I
Rigid
Healthy
Weak
I
I
I
strikt
gesund
mild

04

Setze einen Stern dorthin, wo du die Grenze gerne haben möchtest.

05

Schreibe etwas auf, dass du tun oder sagen kannst, um auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Manchmal erfordert dieser Schritt eine durchsetzungsstarke Kommunikation, um unsere Grenzen zu verdeutlichen.
Hinweis: Diese Übung kann dir auch dabei helfen, eine gesunde Grenze zu erkennen, die du bereits gezogen hast und die du weiter aufrechterhalten oder nach der du andere Grenzen ausrichten möchtest.

Was tue ich, wenn jemand meine Grenzen nicht respektiert?

Es liegt zwar in deiner Macht, deine eigenen Grenzen zu setzen und zu kommunizieren, aber es liegt nicht in deiner Macht, wie andere auf diese Grenzen reagieren. Wenn du neue Grenzen setzt, kann es sein, dass andere sich zunächst wehren, Fragen stellen oder unaufgefordert Ratschläge geben. Es kann etwas Zeit brauchen, bis sie sich an die von dir gesetzten Grenzen gewöhnen, vor allem, wenn diese Grenzen von ihnen selbst erhebliche Veränderungen verlangen. Denke daran, dass es in Ordnung ist, sowohl geduldig als auch beständig zu sein, wenn du deine Grenzen aufrechterhältst und den Menschen in deinem Leben erlaubst, sich an deine Bedürfnisse anzupassen.

Leider entscheiden sich manche Menschen nicht immer dafür, die von dir gesetzten Grenzen zu respektieren und einzuhalten, selbst wenn sie die Zeit und das Mitgefühl haben, dies zu tun. Das kann daran liegen, dass sie selbst mit ungesunden Grenzen zu kämpfen haben oder nicht verstehen, warum Grenzen wichtig sind. In solchen Fällen solltest du daran denken, dass ihre Reaktion nicht deine Schuld ist. Wenn jemand deine Grenzen missachtet oder verletzt, nachdem du sie mehrmals klar und deutlich kommuniziert hast, ist die Beziehung zu dieser Person vielleicht nicht das Beste für deine Bedürfnisse und deinen Heilungsprozess. Es ist nicht egoistisch, wenn du beschließt, dass es das Beste ist, diese Person vorerst außerhalb deines „Zauns“ zu halten. Wenn sie später zeigt, dass sie bereit und in der Lage ist, deine Grenzen zu respektieren, kannst du das Tor jederzeit öffnen und sie wieder hereinlassen - gemäß deinen eigenen Bedingungen und in deinem eigenen Tempo.

Wenn du dir Sorgen um eine Person in deinem Leben machst, die deine Grenzen nicht respektiert, und du nicht weißt, wie du mit der Situation umgehen sollst, empfehlen wir dir, dich an einen Psychologen oder eine andere Person zu wenden.

Praxis des Selbstmitgefühls

Wenn du eine Grenze an einem der beiden Enden des Spektrums hast, denke daran, dass es ein Prozess ist, sich auf die Mitte zuzubewegen. Neue Grenzen bringen Veränderungen mit sich, und die können sich zunächst unangenehm anfühlen - sowohl für dich als auch für diejenigen, die von deinen neuen Grenzen betroffen sind. Sei geduldig mit dir selbst und konsequent mit anderen, während du deine Grenzen nach und nach festlegst und dich bemühst, sie durchzusetzen.

Wenn du dich bemühst, gesündere Grenzen zu setzen und aufrechtzuerhalten, übst du:

  • Akzeptanz, indem du die Lebensbereiche identifizierst, in denen deine derzeitigen Grenzen zu schwach oder zu strikt sind.
  • Achtsamkeit, indem du dir der Grenzen bewusst bist, die du gesetzt hast, und diese Grenzen mit Geduld und Selbstmitgefühl aufrechterhältst. 
  • Aspiration, indem du Grenzen mit der Absicht festlegst, Veränderungen vorzunehmen, die deinem Weg zur Heilung und deinem Wohlbefinden zugutekommen.